|
Hamburg - Marathon 2006
Ist es
tatsächlich schon wieder ein ganzes Jahr her, dass ich hier am Start
stand? Die Zeit rast dahin und schon merke ich, dass es genau zehn Jahre
her ist, dass ich mich zum ersten Mal auf die Strecke über die 42,195 km
gewagt hatte. Damals aus einer Laune heraus, unvorbereitet wie sonstwas
und dazu bei gut 26 °C laufend schleppte ich mich in knapp unter fünf
Stunden durchs Ziel. Mittlerweile ist eine Zeit unter vier Stunden
Pflicht, zu einer neuen Bestzeit reicht es heute auf keinen Fall. Zu wenig
lange Läufe hatte ich in der Vorbereitung unternommen - entweder stand ein
Spiel mit den Kids auf den Programm oder die Arbeit rief. Aber Ausreden
gelten am Start nicht mehr. Block F wurde mir zugeteilt. Block F? Bei der
Abholung der Startunterlagen komme ich ins Grübeln. Gab es bisher nicht
nur A, B und C? Wo schicken die mich denn in diesem Jahr hin? Ein Blick in
die Startunterlagen klärt mich auf: Statt A1 - A3 erfolgt die
Blockeinteilung jetzt nach Buchstaben, A - F ist der Block, der pünktlich
um 9 Uhr auf die Strecke geht. "Jungs, gleich passiert Ihr die Reeperbahn,
keinen Boxenstopp einlegen, einfach geradeaus weiterlaufen!", tönt der
Moderator. Schlecht vorbereitet der Mann - die Reeperbahn ist doch eine
Baustelle und der erste Block läuft durch die Simon-von-Utrecht-Straße. Da
kannst Du lange nach einer Möglichkeit für einen Boxenstopp suchen - aber
das gehört hier wohl nicht hin. Ich hatte mir zeitmäßig vorgenommen, einen
5:30er-Schnitt zu laufen, das würde locker für eine Zeit unter vier
Stunden reichen. Die ersten Kilometer sind locker gelaufen, die Sonne
lässt sich auch mal sehen. Nach dem verregneten Samstag fast schon ein
kleines Wunder. Bei KM 5 Bernadottestraße liege ich im Soll, sogar knapp
drunter, es läuft gut, das Wetter ist bei Temperaturen von ca. 8 °C
optimal. Durch den Halbmondsweg gelangen wir auf die Elbchaussee. Der
Blick in den Hafen ist leicht diesig, aber immer wieder schön. "Standen
hier nicht mal mehr Zuschauer?", höre ich einen Mitläufer fragen. Ich
senke den Blick und konzentriere mich auf das Tempo. Bald kommt das erste
Highlight des Marathons: der Lauf runter zum Fischmarkt entlang der
Landungsbrücken. Bei KM 10 zeigt meine Uhr knapp über 52 Minuten an,
langsam aber ausreichend. Am Fischmarkt tobte in den Vorjahren immer der
Bär, heute ist es irgendwie ruhiger, kein tosender Lärm wie gewohnt. Dafür
ist Party an den Landungsbrücken, meine Family steht wie gewohnt auf der
rechten Seite, kurzes Abklatschen und weiter zum Baumwall, wo Pam und
Kjell warten. Ich suche die Zuschauerreihen nach den beiden ab - nicht zu
sehen. Dann der Verpflegungsstand kurz hinter der 12-KM-Markierung. Nichts
- wo sind die nur? Ohne Blickkontakt, ohne Küsschen laufe ich weiter in
Richtung Wallringtunnel. Habe ich sie übersehen? Toll! Bis zum Ziel keine
bekannten Gesichter mehr. Sie standen tatsächlich direkt hinter dem
Verpflegungsstand, wo ich einen Bogen in die Mitte gelaufen bin, um der
trinkwütigen Masse auszuweichen.
Im Tunnel grausame Wärme, die Luft steht, ich bin froh, wieder Tageslicht
zu sehen, es geht über den (fast) neuen Jungfernstieg, auch hier war
früher Party, heute stehen nur wenige Zuschauer an den Bauzäunen, dafür
ist auf den Folgekilometern mehr los. KM 20 - Schöne Aussicht, es gibt
Bananen und erstmals auch Elektrolyte - bekommt mir persönlich viel besser
als das kalte Wasser. Den zweiten Zehner habe ich in 50 Minuten absolviert
und es geht mir noch immer gut.
Weiter geht es durch die City-Nord, nicht unbedingt der schönste
Streckenabschnitt, aber immerhin haben wir die Hälfte gepackt. Der dritte
Zehner in 51 Minuten. Immer noch laufe ich ein einheitliches Tempo, wenn
auch diese verdammen Knie seit KM 25 schmerzen. Alles andere ist wohlauf,
aber die Knie beschweren sich mächtig ob der Belastungen. Gar nicht
hinhören, die können sich heute Abend ausruhen. Bis 30 KM wollte ich
durchlaufen, dann eventuell eine Trinkpause im Gehen einlegen - aber es
geht dennoch weiter - und zwar laufend. Alsterkrugchaussee, vorbei am
Nedderfeld, gleich kommt der Eppendorfer Baum - noch einmal ein
Adrenalinschub vor dem Ziel. Die Massen stehen wieder unheimlich dicht
zusammen - wie immer Tour-de-France-Feeling. Ich lasse mich von der
Begeisterung tragen, bei KM 38 gibt es wieder einen Verpflegungsstand, ich
nehme mir einen Becher Wasser, leere ihn genüsslich. Doch statt
weiterzulaufen muss ich langsam weitergehen, der Kreislauf spielt mir
einen Streich, mir ist plötzlich schwindelig. Ich atme tief ein,
konzentriere mich auf die Strecke, gehe trotz der Anfeuerungen der
Zuschauer, die ja alle unsere Namen ablesen konnten (klasse Idee!), stur
weiter. Fast 400 Meter gehe ich langsam in Richtung KM 39, dann verfalle
ich in einen langsamen Laufschritt. Der Kreislauf stabilisiert sich
wieder, es geht besser. Bis KM 41 laufe ich betont langsam, will den
Körper nicht mehr zuviel abfordern. Erst den letzten Kilometer laufe ich
etwas flüssiger, das Ziel naht, der Lärm ist unbeschreiblich. Meine Eltern
winken, kurz darauf springen und jubeln auch Pam und Kjell. Ich bekomme
einen Kloß im Hals - was ist denn nun los? Das ist der elfte Marathon und
so langsam kennt man doch das Glücksgefühl im Ziel... Es ist geschafft!
3:45:46 Stunden, die viertbeste Zeit aller elf Läufe - vollkommen o.-k.
bei der Vorbereitung! Im Ziel ist mir übel, vielleicht doch etwas
überanstrengt. Aber daheim bei Kaffee und Kuchen (heute mal mit
Schlagsahne!) geht's wieder besser. Jetzt ist es Montagmorgen und die Knie
meckern immer noch - die sollen sich mal beruhigen...
|